SoSe 2021: Gastvortrag RD i.R. Dipl. psych. Dr. Werner Küching, Mobbing im Klassenraum – aus schulpsychologischer Sicht

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  • Beitrag veröffentlicht:2. Juli 2021
  • Beitrags-Kategorie:Allgemein

Mobbing – ob analog oder digital – prägt den Schulalltag. Es ist aggressiv, anhaltend und vermag Seele und Leib schwerwiegend zu verletzen – bis hin zum Suizid. Das Thema brennt allgemein unter den Nägeln, denn viele Seminarteilnehmer*innen waren in (Cyber)Mobbing während der eigenen Schulzeit bereits involviert – ob als Opfer, (Mit-)Täter*in, Mitläufer*in („Claqueur“) oder aber als engagierte Verteidiger*in. Schon diese unvollständige Auflistung möglicher sozialer Rollen, verweist darauf, dass Mobbing ein systemisches und ein prozesshaftes Phänomen ist, analog wie digital. Während Mobbingtäter eine besondere soziale Intelligenz aufweisen, insofern sie ein feines Sensorium für die Verwundbarkeit ihrer Opfer besitzen, zeichnen sich die Opfer selbst durch keine besonderen Eigenschaften aus. Es kann jeden treffen! Das lässt sich aus dem hervorragenden Lernmaterial des Programms „klicksafe“ der Europäischen Union (www.klicksafe.de) lernen, das in Kooperation mit länderspezifischen Fachinstitutionen im Auftrag der EU erarbeitet wird, um das Internet für Schüler*innen sicherer zu machen – auch mit Bezug auf Cyber-Mobbing („Was tun bei (Cyber)Mobbing? Systemische Intervention und Prävention in der Schule“). (Cyber)Mobbing im Klassenraum lässt sich aber nur unterbinden, wenn die Lehrer*innen ihre spezifische Rollenverantwortung erkennen und anerkennen, nicht nur Lernstoff zu vermitteln, sondern auch für die Bedingungen einer von wechselseitigem Respekt geprägten Lernatmosphäre zu sorgen. Dieser Perspektivenwechsel von der eigenen Betroffenheit durch Mobbing als Schüler*in in der eigenen Schulzeit hin zu der des zukünftigen Lehrerdaseins war der Dreh- und Angelpunkt der ethischen Reflexion auf die moralische Qualität und der systemischen Analyse des Mobbingphänomens.

Dr. Werner Küching, ehemaliger Verantwortlicher für die Schulpsychologie im Regierungsbezirk Düsseldorf, setzt auf dem Hintergrund einer jahrelangen Beschäftigung mit Schulmobbing noch einen für angehende Lehrer*innen aufschlussreichen weiteren Akzent. Gerade weil Mobbing-Opfer keine andere Eigenschaft aufweisen müssen als nur die einzige, nämlich schutzlos zu sein, besteht die oberste Pflicht von Lehrpersonen darin, keine der ihr anvertrauten Schüler*innen schutzlos zu lassen. Küching vertritt sogar die These, dass die Angriffe von Mobber*innen meist unbewusst eigentlich der Lehrperson gälten, nämlich sie als unfähig zu erweisen, die Klassenmitglieder schützen zu können. Mobbing in der Schule ziele darauf, so Küching, die legitime Autorität der Lehrperson zu untergraben. Daher komme für eine gute Lernatmosphäre alles darauf an, dass Lehrpersonen diesen Zusammenhang begreifen und zur Verantwortungsübernahme für den Schutz eines jeden Schüler und einer jeden Schülerin ihrer Klasse bereit sind. Aus den klicksafe-Materialien hatten wir zuvor gelernt, dass Lehrpersonen dazu auf die kompetente strukturelle Unterstützung ihrer Schule angewiesen sind und sich gegebenenfalls für die Entwicklung solcher Strukturen und die Schaffung eines Problembewusstseins einsetzen müssen. Daran lässt sich ethisch etwas über den notwendigen Zusammenhang von Individual- und Sozialethik, von individualer und struktureller Verantwortung lernen. Im Hinblick auf Mobbing als Thema „Praktischer“ bzw. „Angewandter“ Ethik wurde darüberhinaus offensichtlich, dass es empirisch psychologischer und sozialer systemischer Erkenntnisse bedarf, um Mobbingdynamiken kompetent unterbrechen zu können. Guter Wille allein ist hier nicht ausreichend. Auch auf die qualitativen Differenzen und Gemeinsamkeiten von analogem und technisch vermitteltem Cyber- Mobbing wurde reflektiert. Zum anderen wurde die Schule nicht nur als Lernfabrik, sondern als gesellschaftspolitisch relevanter Ort der Einübung eines menschenwürdigen Zusammenlebens in einer demokratischen Gesellschaft vorgestellt. Dass die christliche Botschaft für den Schutz der Schwachen und Verwundbaren als den von Gott gleichermaßen geliebten menschlichen Kreaturen noch einmal vertieft zu motivieren vermag, konnte in diesem auch von Philosophiestudierenden stark nachgefragten theologischen Seminar im Rahmen ihres interdisziplinären Moduls erfahren werden.

Im Rahmen des Seminars „(Cyber)Mobbing als ethisches Problem“
Dr. Heike Baranzke, Katholische Theologie, Fak. I, Fach: Theologische Ethik
Expertenvortrag & Diskussion, Fr. 16. Juli 2021, 14:15 – 16:45 Uhr
RD i.R. Dipl.-Psych. Dr. phil. Werner Küching
Mobbing im Klassenraum aus schulpsychologischer Sicht